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Das Bett

Es ächzte. Es stöhnte. Immer wenn er sich hineinlegte, hörte er das Klagen und das Wehgeschrei. Wenn er sich drehte, knarrte es. Und wenn er dann zur Decke starrte und sich fragte warum, dann fand er keine Antwort. Vielleicht war es einfach zu alt, und das morsche Holz hatte ausgedient. Oder es mochte einfach nicht mehr. Nicht mehr in dieser Zeit, nein, das war keine gute Zeit, nicht einmal für ein Bett.

Einmal kam er spät abends, todmüde nach Hause und wollte schlafen. Doch das Bett ließ ihn nicht in Ruhe. Es murrte. Es wollte keinen Schlaf. Wie kann ein Mensch nur schlafen in dieser Zeit. Wo doch alle müde sind und doch nicht schlafen dürfen. Es musste sich einfach wehren. Was blieb ihm anderes Übrig, als nachzudenken. Nachzudenken über sich und die Zeit. Aber Nachdenken ist nicht gut. Es macht traurig. Traurig sein ist auch nicht gut. Man sollte lustig sein, dachte er. Aber die Zeit war gegen das Fröhlichsein. Eine schlimme Zeit. Eine Zeit, in der selbst ein Bett nicht fröhlich ist.

Einmal kam sein Freund. Er war verletzt. Der Krieg hatte ihn verletzt und zerstört. Verletzt war sein Leib, zerstört war sein Geist. Er brauchte Schlaf. Aber das Bett ließ ihn nicht schlafen. Es war gegen den Krieg. Warum machten die Menschen Krieg? Der Freund dachte nach. Über sich, über den Krieg und über seinen toten Geist. Warum machen die Menschen solch Schlimmes, Schreckliches, Todbringendes? Man sollte Frieden schließen. Krieg bringt nichts, nur Unheil. Jesus wollte Frieden; er musste sterben. Menschen wollen Frieden; der Krieg lässt sie sterben. Ein schlimmer Krieg. Eine schlimme Zeit. Eine Zeit in der ein Bett die Seele tötet.

Einmal brachte der Mann ein Mädchen mit. Er liebte sie nicht. Sie liebte ihn nicht. Sie verkaufte Liebe. Auf dem Bett wollten sie Liebe machen. Dort wollte das Mädchen sich verkaufen, doch das Bett wehrte sich. Es ächzte, es knarrte und stöhnte. Nein, sagte das Mädchen, ich kann nicht wenn das Bett mich nicht mag. So lag sie einfach da und nahm sich Zeit, nachzudenken. Über sich. Über die Liebe. Die Menschen sollten sich lieben. Sie sollten Liebe geben und Liebe empfangen. Nicht kaufen und verkaufen. Aber es war eine harte Zeit. Ein hartes Leben. Die Menschen mussten arbeiten. Sie hatten keine Zeit für die Liebe. Es war eine schlimme Zeit. Eine Zeit in der es Liebe nicht einmal im Bett gibt.

Einmal kam ein kleines Kind. Seine Eltern hatten es verstoßen. Zwei Tage lang suchte das Kind nach Vater und Mutter und konnte niemand finden. So kam es zu dem Mann. Es war müde. Brauchte Schlaf. Der Mann legte das Kind in das Bett, doch dieses knarrte und ächzte. Kein Kind sollte ohne Eltern sein. Warum waren die Eltern so schlecht? Sie hatten nichts zu Essen für das Kind. Es war die Zeit. Es war eben eine schlimme Zeit. Eine Zeit, in der ein Bett selbst die Kinder nicht mehr mochte.

Einmal kam die Mutter des Mannes. Sie war mager. Auch sie hatte nichts zu Essen. Eine alte Frau, allein, ohne Nahrung. Sie war so schwach. Sie war müde. Sie brauchte Schlaf. Das Bett aber ächzte und knarrte und stöhnte und ließ die Alte nicht schlafen. So hatte sie Zeit, nachzudenken. Über sich, über den Sohn, über die Zeit. Warum war die Zeit so schlecht? Warum musste eine alte Frau hungern? Warum konnten Söhne den Müttern nicht helfen? Es war die Zeit. Eben eine schlimme Zeit. Eine Zeit, in der Mütter nicht im Bett liegen dürfen.

Einmal kam das Mädchen. Das richtige Mädchen. Sie liebte den Mann, und er liebte sie. Über alles liebten sie sich. Sie waren glücklich miteinander. Und dann legte sie sich in das Bett. Der Mann bat sie, aufzustehen. Wegen des Knarrens, wegen des Ächzens, wegen des Stöhnens. Doch das Bett blieb stumm! Weil sie darin lag. Es ächzte nicht mehr. Es stöhnte nicht mehr. Es murrte nicht mehr. Es knarrte nicht mehr. Es freute sich über das Glück. Doch die Zeit war nicht gut. Nicht gut für das Glück. Nicht gut für das Bett. Die Krankheit schlug zu. Hässlich, erbarmungslos und ohne Gnade. Sie traf den Mann. Es gab kein Entrinnen. Auf dem Bett, welches ruhig war, wich die Seele langsam aus dem Körper. Das Mädchen hielt die Hand des Mannes und weinte. Da begann das Bett wieder zu knarren, zu murren, zu stöhnen, zu ächzen. Schon glaubte es, Frieden gefunden zu haben; aber die Zeit war dagegen. Es war eben eine schlimme, eine grässliche Zeit. Eine Zeit ohne Glück, ohne Freude, ohne Frieden. Eine tote Zeit.

 

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